Objekt des Monats Juli: Bahnhof in Koblenz-Lützel

Was bedeutete es einstmals, in der Vorstadt zu leben? Dieser Frage spürten wir 2020 gemeinsam mit unseren kommunalen Partnerinnen und Partnern in Koblenz-Lützel nach und es kamen eine Menge an vielfältigen und verblüffenden Antworten zutage. Dass früher das Verhältnis zwischen dem Stadtzentrum Koblenz und der Vorstadt, gemeint ist Koblenz-Lützel, nicht immer rosig war, wird niemanden verwundern. Eine gewisse traditionelle Konkurrenz und Ablehnung lassen sich bei vielen Städten beobachten, insbesondere dann, wenn sie durch einen Fluss in zwei oder mehrere Teile geschieden sind. Dass diese manchmal heute noch gehegten Antipathien jedoch nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern an ganz konkreten Benachteiligungen festgemacht werden können, lässt sich in Lützel belegen. So konnte man von Lützel aus lediglich über die Balduinbrücke in den Stadtkern gelangen und diese Verbindung wurde nachts gekappt, in dem man die Brücke zu einer bestimmten Uhrzeit hochzog.

Blick auf die Balduinbrücke und den Stadtteil Lützel, von der Koblenzer Innenstadt aus gesehen, um 1900.

Daraus ergab sich ein spannungsvolles Verhältnis in Bezug auf Distanz und Nähe aber auch Ausgrenzung und Exklusivität. Im 19. Jahrhundert erhielt Koblenz durch die Preußen seine noch heute weithin sichtbaren militärischen Verteidigungsanlagen. Nach der traumatischen Erfahrung, die Napoleon den Preußen zugefügt hatte, wurde insbesondere in Koblenz ein reger Festungsbau begonnen. Neben dem Ausbau der Ehrenbreitstein wurde auch in Lützel eine Festung errichtet, die Festung Kaiser Franz. Unterhalb dieser Festung wurden Siedlungsbereiche ausgewiesen. Allerdings mussten sich die Hausbesitzer dazu verpflichten, ihre Häuser im Falle einer Bedrohung selbst abzureißen, um den Kanonen freie Schussbahn zu ermöglichen. Dementsprechend leicht mutet die Bauweise in der Elisenstraße an – bis heute.

Die Fachwerkhäuser stammen noch aus dem 19. Jahrhundert und entsprechen den preußischen Vorgaben.

Mit dem Bau der Eisenbahn im Koblenzer Umland zur Mitte des 19. Jahrhunderts zogen viele Menschen in die Stadt und die meisten von ihnen wohnten in Lützel. Sie prägten damit bis heute den Ruf des Stadtteils, Wohnstatt für Arbeiter und Migranten zu sein. Vieles an Lärm und Hektik, ob durch Militär oder Eisenbahn, wurde somit nach Lützel in die Vorstadt ausgelagert. Aufgrund des nun eintretenden Kinderreichtums wurde die Grundschule in Lützel, heute Regenbogen-Grundschule, gegründet. Im Zuge dieser Bahnerweiterung wurde der Bahnhof in Lützel, unser Objekt des Monats, zeitgleich mit dem Rheinbahnhof in den 1850er Jahren errichtet. Da der Rheinbahnhof aber zwischenzeitlich abgerissen und durch den Hauptbahnhof ersetzt wurde, ist der Bahnhof in Lützel der älteste Bahnhof von Koblenz.

Blick auf das alte Bahnhofsgebäude am Lützeler Bahnhof, Ende der 1970er Jahre abgerissen.

Bahnhöfe sind meist eher unscheinbare, funktionale Durchgangsstationen, nicht immer repräsentative Bauten. Wir haben diesen Bahnhof aber als Objekt des Monats ausgewählt, weil er viele Geschichten zu erzählen hat. Auch ein sehr trauriges Kapitel, nämlich die Deportation der Koblenzer Juden, Sinti und Roma und anderer vom NS-Regime als feindlich erachteten Bevölkerungsgruppen in die Vernichtungslager. Diese wurden nicht vom Koblenzer Hauptbahnhof, sondern vom kleineren und dadurch auch weniger öffentlichen Bahnhof Lützel aus organisiert. Noch heute erinnert eine Gedenktafel auf dem Bahnsteig an dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  

Gedenktafeln am Bahnhof in Lützel (links) und in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravensbrück (rechts). Dorthin u.a. wurden viele Menschen deportiert.

Um das Teilprojekt Lützel abzurunden, waren wir gemeinsam mit dem kommunalen Team bemüht, auch die andere Seite von Lützel zu zeigen. Dass hier durchaus auch gutbürgerliche Menschen gerne lebten, beweist das Haus des Architekten Peter Friedhofen in der Blumenstraße 8. Die Schaufassade diente dem Baumeister als Portfolio der von ihm genutzten Stil- und Bauelemente. Der in den 1920er Jahren erbaute Wohnkomplex Lützelhof galt als eine der modernsten Koblenzer Wohnanlagen seinerzeit. Und auch wenn die ehemalige Papierfabrik Mayer-Alberti auf die industrielle Vergangenheit des Stadtteils anspielen mag, so bereichert sie heute als Kulturfabrik (KUFA) Koblenz das kulturelle Leben in der Stadt. Die im Teilprojekt erarbeiteten KuLaDig-Beiträge wurden durch Videos und Audios u.a. mit dem Lützeler Urgestein Werner Seul bereichert. So erzählt er hier von der Veränderung durch den Bau der Eisenbahn:

Der Hobbyhistoriker und Gästeführer Werner Seul zum Bau der Eisenbahn in Koblenz-Lützel (2020).

Hinterlasse einen Kommentar