Die fürstliche Familie ruht und genießt die stille und abgeschiedene Idylle der konstruierten Barock-Kulisse, die der Maler Abraham van den Tempel im Jahre 1668 geschaffen hat. Hier ist alles Theater. Alleine die Brüstung die uns – das Volk – auf Distanz zu den erlauchten Personen hält oder der wallende Vorhang in der rechten Bildhälfte. In der linken Bildhälfte wird unser Blick in eine Landschaft gelenkt. Bäume und Säulen lassen schemenhaft einen fürstlichen Park erahnen. Das Dunkel dieser Umgebung kontrastiert mit dem vorderen Bildraum, in dem das Bildpersonal wie von Scheinwerferlicht erleuchtet scheint.

Kupferstich der Albertine Agnes Fürstin von Nassau-Diez (1634-1696) von Jan Brouwer, nach einem Ölgemälde Gerrit van Honthorsts, um 1651
Fürstin Albertine Agnes und ihre beiden Töchter Amalia und Sophia Hedwig blicken die Betrachter:innen unverwandt an. Hendrik Casimir (später II.), der zukünftige Fürst, verwehrt uns die Gnade seines Blickes. Was wollen uns diese Personen sagen? Der Blick der Fürstin ist nicht ohne Stolz: Ich habe meine Pflicht erfüllt, habe die mir zugedachte Aufgabe klaglos erledigt und Kinder – ach, viel wichtiger – einen männlichen Erben geboren. Und doch schwingt ein wenig Leid mit, das auch in der Ikonografie des Bildes Unterstützung findet. Nicht umsonst spielt das jüngste Kind auf eine bestimmte Art von Christusbild an, in der uns der „Gottessohn“ als nacktes Kind einen Apfel, Evas Apfel, präsentiert und somit auf die durch den Kreuzestod getilgte Erbsünde verweist. Und wie Maria wird auch die Fürstin das ihr zugedachte Los erdulden und den Sohn verlieren. Wird der Sohn erst Fürst, wird sie den Witwensitz aufsuchen (müssen) und darf nicht mehr Teil des Fürstenhofes sein. Der geschlossene Vorhang hinter ihr verdeutlicht es bereits: ihr Lebensabend wird prächtig, wenn auch räumlich eingeschränkt, für sie ist das Spiel vorbei.

Blick auf Schloss Oranienstein in Diez aus südlicher Richtung (2013)
Der traditionelle Witwensitz der Fürstinnen aus dem Hause Nassau-Oranien war Diez, unsere Modellkommune aus dem ersten Projektjahr 2019. Für die Stadt war dieses Schicksal ein Geschenk, denn durch die Präsenz der Fürstinnen veränderte sich das Stadtbild. Bestes Beispiel dafür ist das Schloss Oranienstein, unser Objekt des Monats Oktober. Denn im alten, eng-muffigen Grafenschloss wollte Albertine Agnes ihren Lebensabend nicht verbringen. Ihre Schoßhündchen, einer wurde ebenfalls im Bildraum verewigt, brauchen Auslauf und sie wollte auf die barocken Standards – neben dem 318-Zimmer-Schloss waren das Schlossgärten, Menagerien (Tiergärten), Wasserbassins und weitere Orte der Pläsir – nicht verzichten. Nach Albertine Agnes residierten und lebten verschiedene weitere Angehörige der Fürstenfamilie hier. Zuletzt nutzte Fürst Wilhelm V. das Schloss. Sein Sohn Wilhelm Friedrich von Oranien Nassau unterlag Napoleon und wurde von ihm seiner deutschen Gebiete – so auch Diez – beraubt.

Ansicht des hinteren, der Lahn zugewandten Gebäudeteils von Schloss Oranienstein in Diez. Der kleinere Garten läuft spitzwinklig zu (2013)
Natürlich hatte sich das Schloss seit der Zeit Fürstin Albertine Agnes gewandelt und wurde stets dem Geschmack der Zeit angepasst. Dennoch aber entspricht die Gesamtanlage noch immer dem barocken Gedanken Menschen in eine Art Theater zu führen, zu unterhalten und zu beeindrucken.
Im Teilprojekt Diez wurden neben dem Ortsbeitrag zur Stadt, dem Themenbeitrag „Diez unter der Herrschaft des Hauses Nassau“ acht Objektbeiträge geschaffen.

1672 baute Albertine Agnes die Amtsapotheke, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu verbessern
Eine Audiodatei mit historischen Zuchthausgeschichten wurde mithilfe der Anschubfinanzierung produziert und am Objekt „Zuchthaus im Grafenschloss Diez“ verfügbar gemacht. Zudem wurde ein thematischer Brückenschlag zu weiteren Diezer Objekten zum Thema „Lahn-Marmor“ vorgenommen.