In Zeiten von Kirchenausstiegen und mäßig besuchter Gottesdienste werden Kirchengebäude immer stärker zu Stein gewordenen Wissensspeichern, Schnittpunkten der lokalen Identität und des Brauchtums. Diese Funktionsverschiebung vom Ort des Ritus hin zum Ausstellungsraum, teils angefüllt mit Jahrhunderte alten Kunstschätzen, wird voraussichtlich auch in den kommenden Jahrzehnten noch zunehmen. Vieler Orts werden aus diesem Grund die Kirchen und Kapellen von zahlreichen Kommunen bereits in touristische Destinationen umfunktioniert. In Bad Sobernheim, Modellkommune 2023, gibt es neben den imposanten Kirchen und Kapellen eine Vielzahl weiterer kirchlicher Ordens- und Verwaltungsgebäude und nicht zuletzt Orte des jüdischen Glaubens.




Sakrale Objekte in Bad Sobernheim (von links nach rechts): Die ehemalige Synagoge, katholische Pfarrkirche Sankt Matthäus mit Innenraum und die evangelische Matthiaskirche.
Diese schiere Menge an Gotteshäusern, bedingt durch die günstige Lage an mehreren Handelsstraßen und die Nähe zum Disibodenberg (als Heimatort Hildegard von Bingens), machten neue Nutzungskontexte notwendig, um die Kulturdenkmäler vor dem Verfall zu schützen. So dient der Priorhof heute als Heimatmuseum, die Malteserkapelle als Veranstaltungsort und die Synagoge als Leihbücherei, die Disibodenberger Kapelle sogar als Brauerei und Gaststätte DENKMALz.






Beispiele für gelungene Umnutzungskonzepte in Bad Sobernheim (von links nach rechts): Heimatmuseum im einstigen Priorhof, Gastronomiebetrieb DENKMALz in der Disibodenberger Kapelle, Leihbücherei in der alten Synagoge und Veranstaltungsraum in der Malteserkapelle.
Aber auch die beiden größten und wichtigsten Gotteshäuser der Stadt, die katholische Kirche Sankt Matthäus und die evangelische Matthiaskirche, haben aufgrund der Vielzahl ihrer Objekte fast musealen Charakter. Aus diesem Grund wurden die beiden Hauptkirchen im Ort in 360-Grad-Wissensorte umgewandelt, in denen sich die Nutzer:innen interaktiv durch die virtuellen Kirchenräume bewegen und an ausgewählten Objekten Informationen abrufen können. An unserem Objekt des Monats, der Matthiaskirche, wurde nun eine 360-Grad-Tour verfügbar gemacht und mit Informationen angereichert. Welcher Blick wurde einst den von der Gemeinde abgegrenzt sitzenden Beginen auf das Geschehen am Altar gewährt? Welche Geschichten erzählen die Skulpturen und Reliefs des Bildhauers Willi Hahn oder die bunten Kirchenfenster von Georg Meistermann? Welche Schicksale verbergen sich hinter den steinernen Epitaphen und Grabplatten in der Nähe des Chors und welche Symbole lassen sich in den Schlusssteinen im Kirchengewölbe entdecken? Zu diesen und weiteren Fragen findet man nun Informationen im interaktiven, virtuellen Kirchenraum, weitere Medien und Informationen werden in Zukunft noch an den passenden Stellen verortet.

Zu ausgewählten Objekten werden Informationen in Textboxen geliefert, hier die Grabplatte der Catharina von Kötteritz.
Um auch ein paar Einblicke in die Türme und ins Dachgestühl der Kirche zu gewähren, drehten die Studierenden im Teilprojekt zwei Zeitraffer-Videos beim Aufstieg auf den Dachboden und den Grabturm. Auf diese Weise können auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Höhen der Matthiaskirche – zumindest virtuell – „erklimmen“.

Screenshot des Videoplayers Aufstieg zum Grabturm im virtuellen 360-Grad-Raum der Matthiaskirche.
Ebenfalls wurde nun eine interaktive Karte zu den Standorten der wichtigsten Kunst- und Kulturobjekte im Kirchenraum erstellt und mit der 360-Grad-Tour verknüpft. Die einzelnen Standorte sind anklickbar und ermöglichen über Verlinkungen zu den passenden 360-Grad-Ansichten in den Pop-up-Fenstern weiterführende Informationen. Auf diese Weise wird den Besucher:innen eine Alternative zum Blättern und Suchen in herkömmlichen Broschüren und Flyern geboten.
Nach diesem Beispiel wird nun ebenfalls ein virtueller 360-Grad-Rundgang durch die katholische Kirche Sankt Matthäus erstellt und nutzbar gemacht. Ein Rundgang über den jüdischen Friedhof von Bad Sobernheim ist in 360-Grad bereits möglich. Zukünftig sollen noch biografische Informationen an den passenden Grabsteinen verfügbar gemacht werden.