Kulturelles Erbe hat viele Gesichter – Folge 3: Hermann Thur

Steckbrief

Name: Hermann Thur

Funktion: Ortschronist, Archivar und regional-patriotischer Historiker in Briedel an der schönen Mosel. Örtlicher KuLaDig-RLP-Teamleiter.

Motto: Das Leben wird nicht gemessen an der Zahl unserer Atemzüge, sondern an den Orten und Momenten, die uns den Atem rauben.

Hintergrund: Ich bin ein eingeborener Briedeler. Anstatt in die elterlichen Fußstapfen eines Winzers zu steigen, reizten mich die Zahlen und ich machte eine Lehre zum Bankkaufmann. In der örtlichen Raiffeisenbank konnte ich mich stetig bis zum Bankbetriebswirt fortbilden. Die Chance, in jungen Jahren in den Vorstand aufzusteigen, habe ich gerne ergriffen. Mein Vorgänger im Amt war Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins, der von ihm wie eine Abteilung der Bank geführt wurde. Der ganze Bankbetrieb setzte sich für den boomenden Tourismus ein. So wurde ich bald ins „kalte Wasser“ geworfen und hatte die ehrenamtliche Aufgabe, den rührigen Verein weiter zum Antreiber von Touristenwerbung und Geschichtsbewahrung zu machen. Eine ganze Reihe von Dorferneuerungsmaßnahmen, die zu vielen Fachwerkfreilegungen alter Häuser führten, konnte ich als Berater und Finanzier erfolgreich begleiten. Eine Tätigkeit, die ich 33 Jahre lang bis zu meiner Pensionierung mit vollem Herzblut ausübte. Darüber hinaus war ich in den örtlichen Vereinen, besonders im Karneval, in den Vorständen aktiv. Die dort gewonnenen persönlichen Verbindungen waren ein toller Menschenpool, aus dem ich immer wieder meine Mitstreiter für Projekte rekrutieren konnte.

In diesem kurzen Videoclip aus dem Jahre 2021 stellte sich Hermann Thur bereits kurz vor.

Die mit dem Ruhestand verbundene vermehrte Freizeit machte mich zum Ortschronisten, Archivar im historischen Dorfarchiv und Ortsführer. Die Aufarbeitung der Dorfgeschichte wurde eines meiner vielen Hobbys. Die Familienforschung und die Suche nach dem Leben der Vorfahren animierte mich auch immer wieder, tiefer in die vergangenen Zeiten Briedels einzusteigen. (In meiner Familie sagt man, ich sei süchtig nach Altem geworden). In einem Kurs der Volkshochschule lernte ich den Umgang mit alten Akten.

Der Wunsch des Pfarrers, einen kleinen Flyer über die Geschichte unserer Kirche zu entwerfen, endete in einem 200-seitigen Buch, dem im Laufe der Zeit dann noch viele weitere über Briedels lange und wechselvolle Geschichte folgten. Um die Ergebnisse meiner Forschungen darüber hinaus einem möglichst großen Interessentenkreis zugänglich zu machen, errichtete ich die private Internetseite www.briedeler-geschichte.de, die sich einer hohen Zugriffszahl erfreut. So langsam entwickelte sich das Hobby der Orts- und Familienforschung fast zu einem Fulltime-Job.

Das Projekt: Im Zuge des Landesprojekts „Zukunfts-Check Dorf“ kamen wir mit „KuLaDig-RLP“, einem weiteren Landesprogramm, in Berührung und wurden 2020 darin als Pilotkommune aufgenommen [hier der dabei entstandene Ortsbeitrag]. Schwerpunkt unserer Vorstellung war zunächst eine touristische Nutzung, aber auch die Bereitstellung alten Wissens für alle Bürger und die Verbesserung von deren Geschichtskenntnis.

Hermann Thur (links) und Mitglieder des lokalen Teams gemeinsam mit dem KuLaDig-RLP-Team während der Begehung im Jahr 2020; in der Mitte Projektleiter Michael Klemm.

Die Unterstützung von Prof. Michael Klemm und Florian Weber von der Uni Koblenz in Informationsveranstaltungen und bei einer Ortsbegehung zündeten bei dem zusammengestellten Team den Funken und ein Konzept wurde entwickelt. Als Kern ergab sich daraus die „Gaugraf-Zeyzolf-Runde“ als digitaler Ortsrundgang. Die Beschreibungen verschiedener alter Häuser und Denkmal-Objekten wurden mit Fotos, Videosequenzen und einzelnen Tonbeiträgen ergänzt. Als Highlight hat sich der 360-Grad-Drohnenrundflug über den Ort und die 360-Grad-Innenaufnahmen der Sankt Martin Kirche entwickelt. An den Einzelobjekten wurde kleine Tafeln mit dem jeweiligen QR-Code angebracht und zur besseren Nutzung ein freies WLAN-Netz in der Gemeinde eingerichtet. Ergänzend wurden drei große Infotafeln mit Fotos und QR-Code im Ort aufgestellt, die es den Gästen erleichtern, auf dem Rundgangs durch den Ort alle beschriebenen Punkte aufzufinden. Die Anschubfinanzierung durch das Land Rheinland-Pfalz trug zur Umsetzung dabei wesentlich bei.

Hermann Thur und weitere Mitglieder des Heimat- und Verkehrsvereins Briedel e.V. beim Aufstellen einer Infotafel zur Gaugraf-Zeyzolf-Runde und bei der Installation einer Bank an einem Aussichtspunkt gegenüber des Ortes.

Erfahrungen: Die hohe Akzeptanz der Darstellungen bei den Einwohnern animierte zu persönlichen Gesprächen mit den „Alten“ und erbrachte viele fast verloren geglaubte Informationen über Leben und Arbeiten im früheren Briedel wieder zutage.

Im Rahmen der Demokratiewoche Rheinlandpfalz 2023 hatte ich die Ehre, die Umsetzung von KulaDig-RLP in Briedel in einem Lifestream des ZDF dem interessierten Publikum vorzustellen.

Viele positive Reaktionen über die Kuladig-Präsentation unserer Kirche und deren Umfeld mit Text, Ton und Videobearbeitungen ermunterte uns, am Tag des offenen Denkmals 2024 teilzunehmen. Das Tage füllende Programm mit Vorträgen über die Geschichte und Renovierung, Turmführungen, Orgelspiel und historischer Fotos zog viele Gäste an. Besonders die umfangreiche Zurschaustellung von alten Paramenten und Prinzipalien bewegte viele Teilnehmer und weckten deren Erinnerungen. 

Hermann Thur in historischem Kostüm bei einer Gästeführung.

Ganz besonders freut es uns, wie die KuLaDig-Beschreibungen bei den Nachkommen der Briedeler Auswanderer angenommen werden. Mit dem digitalen Klang unserer Kirchenglocken wird in Brasilien am Martinstag über große Lautsprecher zum Gottesdienst gerufen. Unser Orgelspiel unterstützt dabei die Gläubigen beim Singen des Briedeler St.-Martin-Liedes. Die Bilder des Innenraumes ermöglichen es ihnen, digital um das Taufbecken ihrer Vorfahren herum zu wandeln.

Das Projekt tut der Dorfgemeinschaft richtig gut. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Bewusstsein für Lebensart und Leistung der Vorfahren wird gestärkt. Dies gilt auch für die Vielen, die Briedel aus beruflichen oder persönlichen Gründen verließen und nun hier einen kleinen Anker zur Erinnerung an ihren Geburtsort haben.

Ausblick: Ich wünsche mir, dass das Projekt auch in Zukunft weiterlebt und sich immer begeisterte Menschen finden, die es mit Leben erfüllen.

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