Gebäude und Orte unterliegen ganz ähnlich dem Menschen einem stetigen Wandel. Sie werden erbaut, mit der Zeit den Bedürfnissen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner baulich angepasst, altern, verfallen, werden ausgebessert und weichen dann irgendwann neuen Gebäuden. Teilweise bleiben Reste bestehen, werden in neue Baukörper integriert und erhalten auf diese Weise ein neues Leben. Selten bleiben Gebäude über einen längeren Zeitraum so erhalten, dass sie ihrem ursprünglichen Aussehen entsprechen. Aus diesem Grund und mit diesem Wissen stellt sich, wenn man sich für die Geschichte von Orten und Gebäude interessiert, irgendwann zwangsläufig die Frage: Wie sah es einst hier aus?

In unserem Landesprojekt versuchen wir stets den Bedürfnissen unserer Partnerkommunen nachzukommen, auch wenn es um die Visualisierung und Rekonstruktion vergangener Zustände von Gebäuden und Orten geht. In unserer Projektlaufzeit haben wir bereits verschiedene Umsetzungen dieser Art gefördert – in der Regel mithilfe einer Teilfinanzierung über die Anschubfinanzierung, die jeder Modellkommune in der Projektlaufzeit zur Verfügung steht. Aus diesem Grund möchten wir in diesem Monat einen Überblick zu ausgewählten 3D-Rekonstruktionen und Visualisierungen geben. Wichtig dabei ist zu betonen, dass Rekonstruktionen nur dann sinnvoll sind und erstellt werden können, wenn eine solide Datenlage an Bildern, Grundrissen, Plänen etc. existiert. Auch muss man sich bei sehr langlebigen Objekten, wie Burgen, für einen zeitlichen Abschnitt entscheiden, in der Regel den am besten dokumentierten. Und nicht zuletzt liegen Aufwand und Kosten bei diesem Format meist deutlich höher als bei anderen. (In manchen Kommunen wie etwa Berglicht oder Oberkail geben auch handgemachte Zeichnungen einen tollen Einblick in vergangene Bauzustände.)
Eine der ersten Visualisierungen vergangener Zeiten erfolgte 2021 in Hottenbach. In der kleinen Ortsgemeinde im Hunsrück ging es darum, die Spuren der ehemals vielköpfigen jüdischen Gemeinde im Ort wieder sichtbar zu machen. Die Synagoge, die für die gesamte Region eine gewisse Strahlkraft besaß, existiert zwar heute noch, wurde jedoch als Wohnhaus stark umgestaltet, so dass uns eine Rekonstruktion sinnvoll erschien. Thomas Scheider von der agentur etcetera produzierte anhand alter Fotografien und Pläne eine 3D-Rekonstruktion des gesamten Gebäudes sowie der Innenräume. Die verschiedenen Ansichten wurden in einem Videoclip, indem die Nutzer:innen durch das Gebäude geführt werden, sichtbar gemacht. Besondere Highlights dieser Visualisierungen sind die Mikwe, das traditionelle Tauchbad im Keller, sowie der Gebetsraum.
3D-Rekonstruktion des Klosters Maria Engelport in Treis-Karden (Thomas Schneider, agentur ectetera)
Eine weitere Visualisierung von Thomas Schneider durften wir 2022 ins Teilprojekt Treis-Karden integrieren. Es handelt sich um die Darstellung des Klosters Maria Engelport im Flaumbachtal. Diese hatte Schneider gemeinsam mit dem Historiker Dr. Norbert J. Pies auf Basis alter Zeichnungen, Pläne und Grundrisse erstellt. Besonders schön bei dieser ebenfalls per Videoclip anschaulich gemachten Umsetzung, ist, dass sich die rekonstruierten Gebäudeteile vor den Augen der Nutzer:innen über dem Grundriss der Klosteranlage erheben. Eine möglichst realistische Vermittlung des Objekts erfolgt durch die Wiedergabe atmosphärischer Eindrücke, beispielsweise dem Spiel von Licht und Schatten oder von Geräuschen wie Vogelgesang oder Hundebellen.


Visualisierungen der Pontonbrücke bei Kaub und des Feldlagers in Weisel (Mittelrhein-Eduventure, IZL)
Weitere Versuche in Richtung Rekonstruktion unternahmen wir bei der Umsetzung des „Mittelrhein-Eduventures – The Next Step“, einem Pilotprojekt, das vom damaligen Institut für Wissensmedien der Universität Koblenz (heute Interdisziplinäres Zentrum für Lehre) geleitet und von uns tatkräftig unterstützt wurde. Das Mittelrhein-Eduventure verbindet in zwei digitalen Schnitzeljagden die Aspekte Wissensvermittlung und Abenteuer miteinander und führt die Spieler:innen ins Jahr 1812/13, als Generalfeldmarschall Blücher mit seiner 48.000 Soldaten starken Armee ohne Brücke den Rhein bei Kaub überquerte. Um ein möglichst eindrückliches Spielerlebnis zu kreieren, wurden im Projekt auch verschiedene Animationen erstellt. So wurde eine digitale Rekonstruktion der damaligen Pontonbrücke, mit der die Preußen den Rhein überquerten, in einem sehr aufwändigen Verfahren produziert – inklusive einzelner Pontons, die man individuell in 3D von allen Seiten betrachten kann. Auch der preußische Heereszug, der sich Kilometer lang erstreckte, wurde animiert – und dafür die eingekauften 3D-Soldaten eigens in den bemitleidenswerten Zustand transformiert, der laut Zeitzeugen typisch war nach mehreren Jahren Krieg.

Screenshot aus der virtuellen 360-Grad-Tour des Berghotels Rittersturz (agentur etcetera)
2023 beteiligten wir uns an einem Projekt der Stadt Koblenz zum 75-jährigen Jubiläum der Rittersturzkonferenz. Dieses Treffen der Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer und der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin auf dem Rittersturz bei Koblenz führte zur Einigung auf grundlegende Punkte für die Gründung eines Westdeutschen Staates und besitzt demnach einen großen Wert für die Demokratiegeschichte unseres Landes. Das Hotel wurde 1973 abgerissen. Um den damaligen Tagungsort, das Berghotel Rittersturz, wieder erlebbar zu machen und zugleich Wissen zu diesem Ereignis auf interaktive und moderne Form zu vermitteln, wurde von der agentur etcetera eine 3D-Rekonstruktion des Gebäudes und des Tagungsraumes gefertigt und in Form eines virtuellen 360-Grad-Rundgangs erlebbar gemacht. Im virtuellen Raum wurden weitere Dokumente abgelegt, so dass man diesen Tagungsort ganz individuell entdecken kann.



Rekonstruktionen von Peter Wild (erstes Bild) und ARGO (Bilder 2 und 3)
Im Jahr 2023 ging es um die Visualisierung der Grevenburg bei Traben-Trarbach, die sich nur als Ruine mit einer einzelnen Fassadenwand erhalten hat, von verschiedenen Ansichten aus. Produziert wurden die Visualisierungen von Peter Wild (http://www.pfälzer-burgen.de). Da Wild bereits verschiedene Pfälzer Burgen visualisiert hat, konnten wir auf seine langjährige Erfahrung auch in diesem Fall zurückgreifen. Um ein vielfältiges Bild auf das mögliche Aussehen der Burg zu geben, werden wir neben den von Peter Wild erstellten Ansichten auch eine weitere Rekonstruktion anbieten, die von der ARGO Edutainment Solutions GmbH umgesetzt wurde. ARGO leistet im Bereich der historischen und archäologischen Rekonstruktionen aber auch der Augmented Reality eine hochwertige, auf wissenschaftlichen Kriterien beruhende Arbeit. Als unser Kooperationspartner unterstützt ARGO uns in Reinland-Pfalz an verschiedenen Orten, so auch im Teilprojekt Ruwer (2024) zum Thema „Wasserversorgung zur Zeit der Römer bis heute“, bei der Visualisierung der einstigen Römerwasserleitung.

Im letzten Jahr setzte Peter Wild für uns in Römerberg eine weitere Rekonstruktion um, die ehemalige Malzfabrik Schragmalz, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1991 im Ortsteil Berghausen bestand und den Ortskern geradezu dominierte. Der Standort des 60 Meter hohen Kolosses des Malzturms kann in Kürze durch eine Glasscheibe vor Ort mit der jetzigen Bebauung verglichen werden.
Diese Beispiele zeigen die vielfältigen Möglichkeiten und Nutzungsformen von Visualisierungen und 3D-Rekonstruktionen und ihren Ausspielformaten. Sie können entweder per Videoclip durch rekonstruierte Räume führen oder eine Rundumsicht geben, in einem virtuellen 360-Grad-Rundgang intuitiv entdeckt werden oder sie laden zum Vergleichen ein und machen neugierig, wenn sie in Form von Glasscheiben einen genauen Blickwinkel in die Vergangenheit vorgeben. Der Aufwand ist – trotz schnell voranschreitender technischer Möglichkeiten – mitunter enorm, auch finanziell übersteigt er meist die Anschubfinanzierung des Projekts – aber diese immersive Art der Geschichtserfahrung lohnt sich.
Titelbild: Rekonstruktion des Ackertsturms in Dausenau, gefördert im Rahmen der Verwertungsförderung durch das Landesprojekt KuLaDig-RLP und umgesetzt durch die agentur etcetera.